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29. 03. 2023
Klare Bilder und Töne für ein raunendes Werk
„Die Walküre“ im Opernhaus Zürich 18. 9. 2022
Was sich Interpreten an Richard Wagners „Ring“ schon abgearbeitet haben. Mit der „Walküre“ zeigt sich nun noch deutlicher, dass es Homoki mit einem grossartig engagierten Ensemble und meisterlichem Regie-Handwerk gelingt, die Tetralogie ohne allen Ballast noch einmal frisch anzugehen.
Rückblick:
Aus dem Archiv: Zum Thema Wagner in Zürich, diverse Beiträge: pdf
Bild: © Monika Rittershaus
Tragische Kulturgeschichte
„Madama Butterfly“ im Theater Winterthur 23. 9. 2022
Puccinis Gegenwarts-Oper, die er als „tragedia giappones“ bezeichnet, behandelt mit grossartiger Einfühlung das Einzelschicksal einer Geisha, aber dieses steht für den Untergang einer Kult. Das akzentuiert die Heidelberger Inszenierung, die in Winterthur zu Gast ist – und nicht in geringem Mass auch eine Winterthurer Eigenproduktion ist: Das Musikkollegium erweist sich einmal mehr als grossartiges Opernorhester.
Bild: © Susanne Reichardt
Erlösungswahn
„Der Fliegende Holländer“ in der Staatsoper Hamburg 23. 10. 2022
Eine Reis wert! Nach Hamburg lockt die Elbphilharmonie, und zur Musik kommt dort auch die spektakuläre Inszenierung, die dem Besucher die imposante Architektur bietet. Die Staatsoper liess einen am Sonntag Abend dagegen ganz auf das Spektakel auf der Bühne fokussieren. Für den „Fliegenden Holländer“ haben Michael Thalheimer und Olaf Altmann eine Inszenierung geschaffen, die das Stück ganz reduktionistisch hinstellt, aber auch ganz grundsätzlich befragt.
Bild: © Hans Jörg Michel
Leichtsinn und Revolution
Jacques Offenbachs „Barkouf“ im Opernhaus Zürich 27. 10. 2022
Wäre die Geschichte um den zum Gouverneur ernannten Hund Barkouf nicht absurd, und Offenbarchs ungeheurer Musikbetrieb nicht schlicht euphorisch und hedonistisch, wäre die erst 2018 erstmals wieder aufgeführte Opéra-comique eine Revolutionsoper. Im Opernhaus ist es alles mögliche, vom Variéte bis zur Grand Opéra und es ist Theater pur.
Frauenliebe und Verbrechen
Kammerversion von Saverio Mercadantes „Amletof“ im Theater Stok 28. 10. 2022
Die Oper im Knopfloch hat weder Raum noch Mittel eine Oper in authentischer Gestalt zu präsentieren, aber in der kammermusikalischen Reduktion macht sie auf unbeachtete Schätze aus den Archiven bekannt. Mit Saverio Mercadantes Hamlet-Oper von 1822 knüpft sie an die Produktion von 2018 an. Damals tauchte Niedermeryers grosse Oper „Marie Stuart“ im Knopfloch auf. Jetzt zeigte sich mit Geltrude (für Gertrude) nach Shakespeares „Hamlet“ als eine frühe italienische Variante der Mutter und Königsmörderin im Kellergewölbe des Zürcher Theater Stock. Das Melodramma, das die Primadonna ins Zentrum rückt, macht sie zur Hauptfigur und rückt Hamlet, eine Hosenrolle, an die zweite Stelle. Das mag unter der Prämisse einer Shakespeare-Oper irritieren, aber die Produktion macht deutlich, dass es sich auf seine Weise im Kern um ein beachtenswertes „Psycho-Kammerspiel“ aus melodischer Dramatik handelt.
Besprechung „Amleto“ PDF
Aus dem Archiv: „Marie Stuart“ PDF
Bild : © Monika Rittershaus
Bild : © Bernhard Fuchs
Kleinbürger- und Weltdrama
„Anatevka“ – Gastspiel des Theaters Hagen im Theater Winterthur 4. 11. 2022
Das Musical von Jerry Bock und Joseph Stein mag vor mehr als sechzig Jahren auf die Broadway-Bühne gekommen sein – Unterhaltungswert und Botschaft haben nichts an ihrer Originalität und Frische eingebüsst, im Gegenteil – vor allem in der sorgfältigen Inszenierung und starken musikalischen Umsetzung des Theaters Hagen geht es unter die Haut, und es wirkt aktuell, auch wenn seine Gegenwartsbezüge nicht aufgepeppt werden und das jüdische Weltschicksal lange in die Hochzeitskomödie eingebettet ist. Ohne groses Spektakel, aber umso brutaler kommt das Böse auf die Bühne.
Besprechung hier im PDF
Bild : © Björn Hickmann
Leichtes Schwergewicht
Konzert mit Julien Trevelyan (Klavier) und Michael Sanderling (Dirigent)
Musikkollegium Winterthur 9. November 2022
Seine Erscheinung, sein Auftreten widerspricht allem, was das abgenutzte Wort vom «Tastenlöwen» meint und von der «Pranke», die ein Pianisten gemäss Jargon haben muss, der sich an die Rachmaninows, Prokofiews und in diesem Fall eben an das 1. Klavierkonzert von Béla Bartok macht. Der Engländer Julien Trevelyan ist gerade vierundzwanzig geworden, weder ein Athlet noch ein Bühnentiger, so wie er vor dem Publikum steht. Dann aber Bartok: das Klavier als Perkussiosinstrument, der Dialog mit dem Orchester als Schlagabtausch, Klang als Energie. All das führt der junge Mann dann vor. Das Musikkollegium unter der Leitung von Michael Sanderling hält sich nicht zurück, der Solist behauptet sich – dies ohne alles Schwergewicht, eher aus dem Schwung, mit fabulöser Beweglichkeit und mit einer wie selbstverständlich wirkenden mentalen Präsenz, mit der es hier zu agieren und reagieren gilt. Das hatte etwas Bezwingendes, und wie Trevelyan nach der motorisch geprägten Parforce-Tour mit der Chopin-Zugabe den lyriscn-pathetischen Nerv und noblen Klavierklang strömen liess, offenbarte eine berührende weitere Seite des staunenswert begabten Musikers. Dieser spielt, wie man liest, in einem Streichquatett auch die Erste Geige, und neben der Musik hat er Universitätsabschlüsse. 2021 gewann Trevelyan beim Géza Anda Klavierwettbewerb den zweiten Preis, den Publikumspreis und die Auszeichnung für die beste Mozart-Interpretation. Das Zürcher Hochamt des Klaviers hat ihm die hiesigen Konzertsäle geöffnet. Beim Musikkollegium spielt er das Bartok-Klavierkonzert noch zweimal: Heute Abend in der Wiederholung des Abonnementskonzerts vom Mittwoch umrahmt von Werken von Mozart und Richard Strauss voller Musizierfreude und am Freitag im Rahmen der Konzertreihe «Thanks God it's Friday». Herbert Büttiker
Bilder: © Herbert Büttiker
Blut oder Nektar
„Carmilla oder Das Zeitalter der Vampire“ im Theater Bern 26. 11. 2022
Schauspiel und Oper im Verbund: Die Bühnen Bern präsentieren ein grosse Projekt, was den Aufwand von Musikapparat und den Ensembles betrifft, aber auch im Hinblick auf ein Werk, das mit der alten und widergängierischen Vampir-Mythologie eine neue Welt anvisieren möchte. Eine zivilisationskritische und utopische Sicht knüpft der Autor, Textdichter und Komponist Jan Dvorak an die Novelle des irischen Schriftstellers Joseph Sheran Le Fanu und deren Protagonistinnen Camilla und Laura. Während die zur Vampirin emanzipierte Laura von der Mezzsopranistin Amelie Baier opernhaft verkörpert wird, geht Genet Zegay in der Rolle der Laura auf. Anders als in der Novelle wird die junge Frau auf der Berner Bühne am Ende selber zur Vampirin, und im musikalischen Pomp des Finales versichert sie uns, dass den Vampiren die Zukunft gehört. Die Rede dabei ist nicht mehr vom Blut, sondern vom Nektar, mit dem sich Schmetterlinge ernähren. Ob uns das gefällt, ist die Frage, dass „Carmilla oder Das Zeitalter der Vampire“ die Frage mit grosser künstlerischer Potenz stellt, aber nicht.
Besprechung hier im PDF
Bild : © Toni Suter
Don‘t Worry, Be Happy
Zwei Winterthurer Institutionen im gemeinsamen Auftritt 18. 11. 2022
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – der Philosoph hat auch recht, wenn es um städtische Komponenten geht: Das Casinotheater und das Musikkollegium Winterthur. Im Extrakonzert am Freitag erlebte man die Addition des Komiker-Duos Lapsus und des Dirigenten Roberto Gonzalez-Monjas mit seinem Orchester, und dazu kam der Stimmkünstler Martin O., der mit seinem Loop-Instrument eine ganze Band ist. Alle drei brachten ihre Profession und ihr Können mit, gut für drei Veranstaltungen. Warum nicht an einem Abend ins Konzert gehen, am anderen ins Casinotheater? Und wo fand der Sandwich-Abend überhaupt statt?
Dass die Einladung da oder dort hingepasst hätte, ist der erste witzige Einfall: Lapsus bittet im ehrwürdigen Stadthaussaal Platz zu nehmen, der Dirigent meldet sich aus dem leeren Casinosaal, und von dort zeigt sich auf dem Handy-Displey auch Martin O. Der Abend beginnt somit konfus. Also spielt Lapsus mal die ulkige Jodel-Nummer, bis Martin O. per Scooter hereinrauscht und den Begrüssungs-Rap spasshaft in die Länge zieht. Dann endlich, hallo, das Orchester, das sich sogleich mit einer fulminanten Ouvertüre zu «Le Nozze di Figaro» ins Zeug legt und klar macht: auch Klassik kann Kapriolen.
Rasch finden die drei Sparten von der Konfusion zur Fusion. Martin O. kostet die orientalischen Melismen zu Mani Maters bekanntem «Sidi Abdel Assar» aus, und er fordert das Orchester heraus. Selbst der Dirigent wird genötigt, zur Geige zu greifen – ein Instrument, das Gonzalez ja nicht gleich richtig zur Hand zu nehmen versteht. Für die Nummer auf dem Laufband liefert das Orchester dann den galoppierenden Sound. Das macht so recht deutlich, wie musikalisch die sportiven Gags von Lapsus choreografiert sind.
Der «Cosmophonist» singt auch mal besinnlich «auf den Schultern von Generationen», und das Orchester setzt mit Ravels Pavane pour une Infante defunte ebenfalls einen ruhigen Kontrapunkt zum hyperaktiv-phlegmatischen Comedy-Duo. Mit der Musik zu «Titanic» und «Pirates of the Carebbean» kommt es dank Stimme und Mikrofon zum Spektakel aus Meeresrauschen und Sturm, und es kommt zum Luftgefecht, weil Lapsus nicht anders kann, als wieder auf die Bühne zu stürmen.
Auf abwechslungsreiche, immer wieder überraschende und witzige Weise finden so die drei so unterschiedlichen Sparten einen gemeinsamen Nenner. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – der Abend war spartenübergreifend und offerierte damit auch ein entgrenzendes Vergnügen: Don't Worry, be Happy, lautete die Zugabe – dem entsprach der fast ewige Beifall.
Wiederholung im Stadthaus Winterthur am 19. 11. 2022
Die Bühne als Wunderland
„Alice im Wunderland“ – Familienoper im Opernhaus Zürich 12. 11. 2022
Das junge Publikum will ernst genommen werden, auch wenn es sich um Nonsens handelt. Es soll grosse Oper erleben, ein Orchester mit allen Registern, Chor und Solisten mit bewährten Opernstimmen, die ganze Bühnentechnik mit raffinierter Beleuchtung, mit grossem Ausstattungsaufwand auf der Drehbühne – mit dem ganzen künstlerischen Einsatz eines grossen Teams. Das Opernhaus Zürich hat mit „Alice im Wunderland“ von Pierangelo Voltinoni und Paolo Madron, die schon mit dem „Zauberer von Oz“ für Zürich glücklich arbeiteten, seinen Anspruch offenbar voll erfüllt: ein eklatanter Erfolg mit einigem Szenen- und grossem Schlussapplaus.
Besprechung hier im Alice.pdf
Aus dem Archiv: „Der Zaubrerer von OZ“ (2016) Der Zauberer von Oz.pdf
Bild : © Herbert Büttiker
Bild : © Ilko Freese
Kontrastprogramme
Zu zwei Konzerten des Musikkollegiums Winterthur 1. 12. und 23. 11. 2022
Mit Joseph Haydns Sifonie Nr. 90 hat am vergangenen Mittwoch der junge amerikanische Dirigent Jonathon Heyward mit dem Musikkollegium Winterthur das Abonnementskonzert beschlossen, mit Joseph Haydns Sinfonie Nr. 83 hat nun Heinz Holliger das Hauskonzert vom Donnerstag eröffnet. Beides mal war es ein packendes Statement dafür, wie gegenwärtig lebendig die sogenannte «Klassik» heute im Konzert erklingt – im Falle Haydns vielleicht sogar lebendiger als in früheren Epochen: Dass derg-Moll Sinfonie Nr. 83 der Name« La Poule» anhaftet, versteht sich heute nur noch als historisches Missverständnis der elementaren Kraft dieser Musik. Heinz Holliger liess sie spüren, er strahlt mit seinen 83 Jahren auf dem Podium die Energie und den Durchblick für das Zügige Nach-vorn-Musizieren aus und für das Gewicht von Akzenten und sich aufbauender Entwicklung. Für das Hören bedeutete das reine Hingabe, und dies im letzten Programmteil, der Aufführung von Schuberts Sinfonie Nr. 5 noch einmal in glückhaftester Form.
Beide Konzerte, von denen hier die Rede ist, hatten aber auch Schwerpunkte, mit denen das Musikkollegium Winterthur sein Publikum den gewaltigen Sprung zum kompositorischen Schaffen von heute vermittelte. Im ersten war es das Konzert für Horn und Orchester von Wolfgang Rihm, dem Grossmeister der zeitgenössischen Musik, im zweiten war die Schweiz mit dem Doppelkonzert für Violine, Viola und kleines Orchester (2011/12) von Doyen Heinz Holliger im Spiel, dazu auch ein 2008 komponiertes und in diesem Konzert uraufgeführtes Werk des 2013 verstorbenen Altersgenossen von Holliger, Hans Ulrich Lehmann. «‹Contradictions› (James Joyce: ‹viola in all moods and senses› für Viola solo und Kammerorchester» lautet der ausführliche Titel.
Die drei Werke bieten eine breite Palette von dem, was als Komponieren für Sinfonieorchester à jour ist, was sie – im Kontrast zu Haydn, Schubert und all den anderen – vielleicht vermissen lässt und was sie mit der Erweiterung der Klang- und Geräuschszenerie interessant macht. Dass sich darin, wenn auch eher kaleidoskopartig fragmentiert, lyrische und virtuose grosse Schule entfalten kann, zeigten die Solisten, die sich souverän präsentierten: Der Hornist Ben Goldscheider im Werk von Wolfgang Rihm, Jürg Dähler als Solist für Lehmanns Viola-Stück und zusammen mit der Violinistin Hanna Weinmeister für Heinz Holligers Doppelkonzert.
Die ungewöhnliche Aufstellung für dieses Stück mit den Bläsern vor den Streichern und der Harfe am Bühnenrand liess schön verfolgen, wie sehr die herausfordernde Klangarbeit zur selbstverständlichen Kompetenz des Musikkollegiums gehört. Auch der Dirigent und Komponist schien mit dem Klangkörper sichtlich sehr zufrieden zu sein. Herbert Büttiker
Bilder: © Herbert Büttiker
Bilder der Dekadenz – nicht aus dem alten Rom
Francesco Cavsllis „Eliogabalo“ im Opernhaus Zürich 04. 12. 2022
Wenn Calixto Bieito auf dem Spielplan steht, so weiss man es seit langem, kann man das Opernhaus meiden oder sich einem düsteren und abgründigen, abstossenden oder auch nur absurden Bilderreigen aussetzen. Das ist mühsamer bei einem Werk, dessen Erzählung schon lange gemacht ist, leichter, wo es sich der Regisseur mit Neuem beschäftigt. Wer war Eliogabalo“, wer hat von dieser Oper gehört, und wieviel kreative Arbeit ist nötig, um eine nur im skelettartigen Manuskript erhaltene Oper überhaupt auf die Bühne zu bringen? Tatsächlich ist es eine Alternative, statt eine Barockoper zu simulieren, sich die Sache so vorzunehmen. wie Bieito im Programmheft sagt: „Wir kreieren alle gemeinsam eine Oper für heute mit barocker Musik.“ Was Bieito damit bietet, ist allerdings weniger Theater, das Gegenwart abbildet, sondern Theater, das einen heutigen Blick auf den Menschen ins Bild rückt, und Bieitos Blick ist schonungslos offen für das Abgründige im Menschen zu allen Zeiten.
Besprechung hier im PDF
„Eliogabalo“ ist Calixto Bieitos vierte Inszenierung am Opernaus Zürich. Vorausgegangen sind „Die Soldaten“ von Bern Alois Zimmermann, „Der feurige Engel“ von Sergej Prokofiev und „L‘incoronazione die Poppea“ von Claudio Monteverdi.
Bilder: © Monika Rittershaus
Zum Jahreswechsel
Rituale haben zum Glück ein zähes Leben.
Das gilt für die Bräuche der Silvesternacht auch, und deshalb ist auch
der alte Text von 2005 noch immer aktuell – besonders für Musikliebende,
die schon ans Neujahrskonzert denken. Dieses lässt sich zwar jeweils auch ohne Einführungstexte geniessen. Für gewisse Stücke und einfach
im Sinne der Allgemeinbildung (!) ist der folgende Hinweis
vielleicht aber willkommen.
Es gibt übrigens auch eine Moderato-Variante des Entkorkens:
Allegro und moderato wünsche ich allen Besuchern dieser Seite einen fröhlichen
und besinnlichen Jahreswechsel und für 2023 alles Gute!
Herbert Büttiker
Blut oder Nektar
„L‘equivoco stravagante“ im Gemeindesaal Zollikon 31. 12. 2022
Mit einer orchestral reduzierten Version, aber musikalisch vollblütig macht die Zürcher Kammeroper mit einer selten gespielten grossen Opera buffa von Gioacchino Rossini bekannt, und sie sorgt für ein dem Titel entsprechend „extravagantes“ Vergnügen im Saal der Gemeinde Zollikon. Mit dem aufwendigen und musikalisch sprudelnd reichen Stück hatte der junge Rossini wenig Glück. Es verschwand auf Grund seines als abgeschmackt verpönten Librettos in der Versenkung und wurde erst in den 1970-er Jahren wieder ausgegraben. Zu entdecken ist eine aberwitzige Geschichte um die junge Ernestina, die eher bildungs- als heiratslustig ist, aber bereit ist, dem Parvenu ihre „Materie“ zu vergeben und den „Geist“ ihrem philosophischen Hauslehrer, der ein junger hübscher Mann ist. Mit seinem tenoralen Schmelz und dank einer bizarren Intrige gelingt es ihm schliesslich, ihr Herz aus dem Bildungswirrwarr zu befreien. Die Handlung charakterisiert auch den Komponisten: den Tausendsassa, der in seiner unbändigen musikalischen Spasshaftigkeit auch immer mal wieder die schlichten Herztöne aufblitzen lässt.
Besprechung hier im PDF
Die Stimme der Frau
„La voix humaine“ mit Barbara Hannigan und dem Musikkollegium Winterthur 11. 1. 2023
Was Barbara Hannigan ald dirigierende Sängerin und Darstellerin auf dem Dirigentenpodet leistet, ist eine bewundernswerte Allround-Interpretation und ein faszinierndes ästhetisches Ereignis zwischen Konzert und Szene. Francis Poulencs tragischer Heldin in „La voix humaine“ gönnt sie einen Ausgang aus eder unglücklichen Liebesgeschichte: Er führt aufs Dirigentenpodest, wo sie mit männlichen Kollegen auf gleicher Höhe steht.
Besprechung hier im PDF
Bild: © Herbert Büttiker
Klänge zum Jahresbeginn
Das Winterthurer Jugendsinfonieorchester im Stadthaus 15. 1. 2023
Zwei Flöten eröffnene Bedrich Smetanas „Moldau“ – mit den beiden srprudelnden Quellen beginnt der Lauf des Flusses durch die tschechischen Lande und eine Musik, die das weite Strömen und auch die Dramatik wilder Wasser schildert. Dies als Ausblick auf ein eben begonnenes Jahr interpretieren, darf jeder für sich selber. Das Winterthurer Jugendsinfonieorchester eröffnete mit dem berühmten Stück sein Neujahrskonzert, das dann mit Musik von Nino Rota und schwungvoller Ballettmusik von Alexander Glasunov auch fern der Wiener Walzerseligkeit traditionelle Neujahrskonzertstimmungen einschloss.
Bericht im PDF
WJSO-Fotoalbum hier
Bild: © Herbert Büttiker
Liebe ist alles und hat keine Chance
„West Side Story“ im Theater 11 17. 1. 2023
Leonard Bernsteins „West Side Story“ ist ein Jahrhundertwerk des 20. und auch für das 21. Eine Neuproduktion braucht nicht viel anderes zu sein als eine Reproduktion mit neuen frischen Kräften. Und diese begeistern jetzt, allen voran Melanie Sierra als Maria an der Spitze eines starken Ensembles, das mit dem Kreativteam aus New York kommt und in München die Inszenierung für die Europa-Tournee erarbeitet hat. Das Theater 11 ist n die zweite Station der atmosphärisch und emotional dichten und berührenden Aufführung, die dem archetypischen Liebespaar gemäss Shakespeares Vorgabe keine Chance lässt, aber die Liebe als grosse Hoffnung der Menschheit und Utopie einer besseren Welt aufscheinen lässt.
Bericht im PDF
Aus dem Archiv: „West Side Story“ im Theater 11 2016 PDF
Liebe, Leidenschaft und Verbrechen
„Lady Macbeth von Mzensk“ in der Staatsoper Hamburg 25. 1. 2023
Für einen Hamburg-Aufenthalt gibt es ja immer genügend verlockende Gründe, und auch an kalten Januartagen sammeln sich an magnetischen Orten die Besucher. Seit Jahren brüllt für viele majestätisch der König der Löwen, verliert man sich im Wunderland der Eisenbahnen und Märchenlandschaften, bestaunt die Schiffsmonster im weitläufigen Hafengebiet, besteigt für die grossartige Rundsicht den Michel und lässt sich im prunkvollen Rathaus hanseatisch selbstbewusste Weltläufigkeit erklären. In der Kunsthalle begegnet man Kaspar David Friedrichs Mann über dem Nebelmeer und vielen weiteren Grossen der europäischen Kunstgeschichte, die zum Schatz der Stadt gehören. Neben der Grösse rückt dem Besucher auch Hamburgs Elend nahe, wenn er dem Manhmal St. Nikolai nicht aus dem Weg geht, und neben dem Feuersturm von 1943 ist auch der grosse Stadtbrand von 1842 in der Stadtgeschichte präsent.
Ist von Musik die Rede, müsste natürlich an erster Stelle von der Elbphilharmonie gesprochen werden, dem die Bundesrepublik nun auch auf einer neuen Zwei-Euro-Münze huldigt. Lockt die „Elphi“ noch wie eben eröffnet als das neue Wahrzeichen Hamburgs, so kann die Staatsoper auf grosse Zeiten ihres Bühnenschaffens verweisen – und auf den Spielplan der Gegenwart. Für die Hamburg-Reise, von der hier die Rede ist, gab die Oper den Anstoss, und zwar da wie dort: In der Elbphilharmonie eine konzertante Aufführung von Vincenzo Bellinis „Norma“, in der Staatsoper eine Auffünrung der Elektra“ von Richard Strauss und die Premiere von Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“.
„Lady Macbeth von Mzensk“ in der Staatsoper: Bericht im PDF
Bild: ©
Monika Rittershaus
Die Sache der Dosierung
Veranstaltung mit „Roberto Gonzalez-Monjas“, Volkshochschule Winterthur 31. 1. 2023
Ein guter Koch hat zwar sein Rezept, aber er schmeckt da und dort mit einer zusätzlichen Prise ab – mit ihm vergleicht sich Roberto Gonzalez unter anderem, wenn er von seinem Metier spricht, das die Sache des Fingerspitzengefühls ist, aber auch der grossen Geste und der Persönlichkeit mit einer Botschaft und Vision seiner Arbeit. Das Konzertdes Musikkollegiums Winterthur am 1. Februar mit „Cantus arcticus“, Ravels Klavierkonzert in G-Dur (Solistin Yeol Eum Son) und Beethvons „Pastorale“ löste dies alles eindrücklich ein.
Bericht zur Veranstaltung PDF
Bericht zum Konzert PDF
Bild: © Herbert Büttiker
Die sängerische Statur
Donizettis „Roberto Devereux“ im Opernhaus Zürich 5. 2. 2023
Die Primadonna mit ihrer Arai finale – auch im Opernhaus Zürich war es der Highnoon der Belcanto-Heroine, die von der lettischen Sopranistin Inga Kalna verkörpert wird. Doch ist es nicht weniger berechtigt, Roberto Devereux als den grossen Helden dieser Oper zu bezeichnen, und der Tenor Stephen Costello löste diesen Anspruch imponierend aus. Auch dank ihm und dem weiteren Ensemble und dank einer imponierenden Chor- und Orchesterleistung unter der Leitung von Enrique Maazola findet die als Trilogie inszenierten Folge von „Anna Bolena“, „Maria Stuarda“ mit „Roberto Devereux“ einen erfolgreichen Abschluss.
Bericht PDF
Aus dem Archiv: Opernhaus Zürich 2018 und 2021:
„Maria Stuarda“ und „Anna Bolena“
Bild: © Toni Suter
Als Gast in der Tonhalle-Werkstatt
Kent Nagano dirigiert Anton Bruckners 9. Sinfonie 1. 3. 2023
Der Bruckner- Zyklus des Tonhalle-Orchesters ist Chefsache. Aber auch Gastdirigenten tragen zur Sicht auf das monumentale sinfonische Vermächtnis bei und bereichern die spielerischen Möglichkeiten des Orchesters. Zur Aufführung der 9. Sinfonie.
Bericht PDF
Tonhalle-Konzerte Galerie
Bild: © Herbert Büttiker
Mit Gluck und 3D ins Elysium
Das Staatstheater Augsburg in Winterthur 3.3. 2023
Wie lebt es sich im Elysium? Darüber berichten kann Orpheus – oder auch wir kommen hin und zurück, wenn er uns mitnimmt. Das macht er jetzt im Theater Winterthur. Zu Gast ist das Staatstheater Augsburg, das «Orfeo ed Euridice» von Christoph Wilibald Gluck mit Virtaul-Reality-Technik inszeniert hat.
Bericht im PDF
Bild: © Jan-Pieter Fuhr
Der erste Ringschluss
„Siegfried“ im Opernhaus Zürich 5. 3. 2023
Inzwischen ist ein Bäumchen gewachsen. Die letzte Szene des „Siegfrieds“ löst ein, was die „Walküre“ am Ende erwarten liess: Brünnhilde wird vom Walküre-Felsen erlöst. Im Liebestaumel erfüllen sich dynastische wie revolutionäre Hoffnungen, ein Kreis – vorläufig: „Die Götterdämmerung“ gibt ihr eine unerwartete Wendung. Darauf muss man warten, aber der gelungene „Siegfried“-Abend kann für eine Weile genügen.
Bericht im PDF
Freude und Bedauern
Sergio Pires Solo-Klarinettist beim London Symphony Orchestra
Sergio Pires stiess in der Saison 2016/17 als Solo-Klarinettist zum Musikkollegium Winterthur, und schnell fiel er auf mit seiner Stimme, die manche orchestrale Stelle ausdrucksvoll krönte. Es folgte die souveräne Präsenz mit Solo-Konzerten, über die man nur begeistert schreiben konnte. Dass ihn das London Symphony Orchestra als Principal Clarinetist nun von Winterthur weglockt, verwundert nicht, aber man darf es auch bedauern, aber es ist auch eine Bestätigung für die Liga, in der das Musikkollegium spielt, und selbstverständlich ist die Freude gross, den sympathischen Musiker auf gutem Weg zu neuen Abenteuern zu sehen.
Rückblick (Besprechungen in „Der Landbote“ Winterthur)
– Klarinettenkonzert von Carl Nielsen, 13. November 2019 PDF
– Klarinettenkonzert von Carl Maria von Weber, 10. Juni 2020 PDF
– Stamitz, Mozart, C. M. von Weber, 23. 11. 2017 PDF
Bild: © Herbert Büttiker
Bild: © Monika Rittershaus
Die Hautfarbe der Musik
Kris Defoorts Oper „The Singing of our Time“ im Theater St. Gallen 11. 3. 2023
Ein szenische Geschichtslektion könnte die Oper im Untertiel genannt werden. Thema wäre die Rassentrennung und die Diskriminierung der Schwarzen im Amerika der vierziger bis achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Und weil es Musiktheater ist, richtet sich ein besonderer Fokus auf die Musik und ihre identitätsstiftende Funktion. Dass der Afro-Amerikaner Joshua Stewart, der mit facettenreichem Repertoire in den USA und in Europa erfolgreich unterwegs ist, den Tenor Jonah Storm spielt, ist eine besondere Pointe der Aufführung. Dessen Schicksal: Jonah Storm macht in Europa Karriere und wird dafür von seiner Familie ausgegrenzt. Seine Beziehung zu einer Sängerin scheitert, weil er für die weisse Verehrerin zwar attraktiv ist, aber als Vater eines gemeinsamen Kindes nicht in Frage kommt. Unterwegs in Los Angeles während der Tumulte, wo er nach seinem Bruder sucht, wird er von einem Stein getroffen. Da er weder schwarz noch weiss ist, nimmt sich niemand seiner an. Er sei ein „Nobody“ stellt er fest.
Bericht im PDF
Bild: © Edyta Dafaj
Die Winterreise einer Frau
Joyce DiDonato beim Musikkollegium Winterthur 26. 3. 2023
Schnell macht das erste Lied von Schuberts „Winterreise“ klar, dass ein Mann hier sein Elend in unerhörter Musik zum Ausdruck bringt. Dass dieses Gipfelwerk aber auch Sängerinnen anzieht, ist nicht verwunderlich. Die Liste berühmter Interpretinnen der 24 Gesänge ist lang. Mit dem Verständnis des Liedes als Vortragskunst und der allgemein menschlichen Erlebniswelt von Vereinsamung und Gebrochenheit als wesentlicher Gehalt haben sie zurecht den physiologischen Aspekt als vernachlässigbar beiseite geschoben. Joyce DiDonato hat nun allerdings einen Weg gefunden, sich explizit als Frau mit der „Winterreise“ auseinander setzen zu können, ja mehr noch sich als Bühnenfigur mit der Frau zu identifizieren, die ihrerseits der gescheiterten Liebesbeziehung nachsinnt, wenn sie das Tagebuch des müden Wanderers Seite für Seite durchgeht bzw. singend interpretiert. Das Ergebnis dieser neuen Perspektive war nun iin einem Extrakonzert des Musikkollegiums als packendes Ereignis zu erleben.
Bericht „Winterreise“ im PDF
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Bild: © Herbert Büttiker
Von der Winterreise zu den Nuits d‘été
Joyce DiDonato beim Musikkollegium Winterthur 29. 3. 2023
Die kurze, aber überragende und und umjubelte Residenz des Stars spielte in zwei Jahreszeiten, doch wie Schuberts „Winterreise“ berührt Joyce DiDonato auch im Zyklus der Orchesterlieder von Hector Berlioz eindringlich die tragischen Aspekte von Liebe und Leben. «Un air maladivement tendre, à la fois charmant et fatal, qui vous fait mal et qu’on voudrait toujours entendre; un air, comme en soupire aux cieux l’ange amoureux…» – die Verse aus dem vierten der sechs Gesänge von Hector Berlioz' Zyklus «Les nuits d'été» sprechen auch über die Interpretin, die im Musikkollegium auf dem Podium steht: Joyce DiDonato, die grosse Mezzosopranistin, deren Stimme in allen Graden von Tonhöhe und -dynamik sensibel, strömend und leuchtend die Poesie dieser emotionalen romantisch-musikalischen Dichtung auslotet.
Das vierte der Lieder beschreibt eine Szene auf dem Friedhof. Im traurigen Gesang der einsamen Taube klingt unisono die klagende Seele des Verstorbenen mit. Die Liebeslyrik, die Berlioz von Théophile Gautiers Sammlung für «Les nuits d'été» ausgewählt hat, handelt auch in weiteren Teilen von den schmerzlichen Erfahrung der Liebenden, von unerfüllter Verzauberung («Le spectre de la rose»), von Verlust («Sur les lagunes»), von der Ferne des Geliebten («Absence»). Nur das erste spricht mit prickelnder Staccato-Begleitung von junger Liebe («Villanelle») und das letzte von einer neuen Flamme und der skeptischen Aussicht auf die Dauerhaftigkeit der Liebe («L'île inconnue»).
Von der Parlando-Melodik des ersten Liedes, über weit gespannte, verinnerlichte Kantilenen und emotionales Crescendo bis zum ironisch pointierten Vortrag reicht die Palette, die Joyce DiDonatos Gesangskunst mit einer Sensibilität und Klarheit in allen Facetten beherrscht. Faszinierender, berührender lässt sich «Interpretation» nicht erfahren als in ihrer unforciert beherrschten Kunst der Einfühlung in den musikalischen Text und im Klang dieser Ausnahmestimme «à la fois charmant et fatal, qui vous fait mal et qu’on voudrait toujours entendre.»
Mit dabei sehr schön die Arbeit des Orchesters, das mit Berlioz' differenzierter und feinzeichnerischer Begleitung und Schattierung unter der Leitung von Roberto González Stimmungen und Emotionen reflektiert. Mit den um das Gesangswerk gruppierten Orchesterwerken war seine grossartige Virtuosität kontrastreich in teils überbordender Burleske zu erleben, von der Ouvertüre und Tanzszene aus der Oper «Ariadne auf Naxos») von Richard Strauss über die Valse triste von Jean Sibelius zu Francis Poulenc bot es feinsinniges und spektakuläres Hörvergnügen voller Überraschungen.
Bericht „Winterreise“ und „Les nuits d‘été“ auch im PDF hier
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Bild: © Herbert Büttiker